Vor 60 Jahren: Brand im Heizkraftwerk Sendling

Am Freitag, den 19. Januar 1962 kam es im Heizkraftwerk Sendling nach mehreren Explosionen zu einem Großbrand. Wir blicken 60 Jahre zurück.

Mit einer „Tragischen Duplizität der Ereignisse“ beschrieb Erwin Stocker, Reporter des Münchner Merkur, den Brand im Heizkraftwerk Sendling, bezogen auf zwei große Brandfälle innerhalb von 48 Stunden in Bayern. Insgesamt 24 Menschen verloren ihr Leben: 22 in Nürnberg, nur zwei Tage zuvor bei einem Kaufhausbrand und zwei bei Explosionen und anschließendem Brand im Heizkraftwerk Sendling in München.

Historisch betrachte mag man die damaligen Worte der Duplizität fast als Weissagung deuten, da 30 Jahre später das gleiche Heizkraftwerk in München Sendling am 31.12.1992 wieder Opfer einer Explosion wurde.

Das Kraftwerk

Das Kraftwerk Sendling war damals das modernste Heiz- und Spitzenkraftwerk auf Erdgas-Basis, das aber auch mit Heizöl betrieben werden konnte. Hierzu stand ein „Tagesbehälter“ im Maschinenhaus mit 30.000 Liter Inhalt für einen 1,5-stündigen Volllastbetrieb bereit, sowie zwei zylindrische Außenbehälter mit je 100.000 Liter, die zusammen mit fünf weiteren ähnlichen Zylinderbauten, für die Verdrängungsspeicher und Ausgleichsbehälter, die charakteristische Silhouette des Heizkraftwerkes ergaben.

Die erstmalig gewählte technische Lösung erlaubte, das Verhältnis der Wärme- zur Stromerzeugung der Jahreszeit entsprechend zu verändern, bzw. Wärme oder Strom allein zu erzeugen. Das Werk lag zudem zentral im Schwerpunkt der zu beliefernden Wärmeverbraucher dreier Groß-Wohnsiedlungen (Fürstenried I - II - Ill), eines umfangreichen Industriegebiets (Obersendling) und eines im Bau begriffenen Klinikviertels im Stadtteil Großhadern.

Am Tag des Brandausbruches wurde am Innenausbau des Kraftwerkes noch intensiv gearbeitet und auch der Bereich um das Kraftwerk war größtenteils noch Baustelle. Die maschinelle Einrichtung sollte erst in wenigen Tagen von den städtischen Werken übernommen werden, da die Herstellerfirma noch mit der Durchführung einiger Versuchsreihen befasst war.

Die Explosion

Um 11:27 Uhr kam es zu einer Explosion während eines Abschaltversuches, der die Sicherheitseinrichtungen überprüfen sollte. Aufgrund eines Materialfehlers kam es aber zu einer heftigen Explosion, der Sekunden später eine zweite folgte, die unter anderem eine Rohrverbindung mit einem Durchmesser von 1,8 m aufriss und größere Mengen Heizöl aus dem Tagesbehälter in Brand gerieten. Innerhalb kürzester Zeit füllte sich die Maschinenhalle und das Kesselhaus mit dichtem, beißenden, schwarzen Qualm. Wenig später verrauchte der gesamte weitläufige Gebäudekomplex und zwang die städtischen Bediensteten und Angehörigen der Lieferfirma, letztere teils ortsunkundig, zur überstürzten Flucht ins Freie.

Als um 11:32 Uhr die ersten Feuerwehrkräfte eintrafen, stellte sich die Lage verheerend dar. Dichter Rauch des entzündeten Heizöltanks quoll aus dem Osttor und dem beschädigen Gebäude. Zudem befanden sich zwei Männer auf dem 45 m hohen Dach, denen der Rückzugsweg über das Treppenaus versperrt war. Viele flüchtende Arbeiter berichteten von einer unbekannten Zahl von Verletzen im Erdgeschoß und im Keller des Maschinenhauses.

Aufgrund dieser Lageschilderungen entschloss sich der Einsatzleiter zuerst zwei Trupps unter schwerem Atemschutz nach den im Gebäude zurückgebliebenen Personen suchen zu lassen. Da kein geeignetes Hubrettunggerät zur Verfügung stand, die das Dach erreichen hätte können, wurde über Funk ein Hubschrauber angefordert, um die zwei Hilfesuchenden vom Dach retten zu können. Damit kam es in der Stadtgeschichte zu einem erstmaligen Einsatz einer Hubschrauberbesatzung für einen Rettungseinsatz.

Aufgrund der Dimension der Schadenslage wurde Vollalarm für die Feuerwehr München ausgelöst. Zitat von Reporter Erwin Stocker im Münchner Merkur hierzu: „Daraufhin wurden alle verfügbaren Männer sämtlicher Feuerwachen und alle Löschfahrzeuge nach Obersendling beordert, darunter auch die gesamte Freiwillige Feuerwehr Münchens. Dieser Einsatz wurde zum größten Feuerwehreinsatz Münchens seit dem Kriegsende.“

Die Freiwillige Feuerwehr München rückte mit allen Fahrzeugen und etwa 115 Mann – viele Ehrenamtliche waren noch arbeiten – zur Brandstelle oder zur Wachbesetzung der verwaisten Wachen der Berufsfeuerwehr aus.

Zahlreiche Verletzte wurden aus dem Erd- bzw. Keller­geschoss des Maschinenhauses gerettet. Einer von ihnen, ein 58-jähriger Fliesenleger, der in der Nähe der Turbine beschäftigt war, erlag kurz nach seiner Einlieferung ins Krankenhaus seinen schweren Brandverletzungen. Alle restlichen Geretteten kamen mit Rauchvergiftungen, leichteren Brand­wunden, Knochenbrüchen und Quetschungen davon. Einer der Geretteten, der Maler Alfred Schweigart, damals 20 Jahre alt, arbeitete im Werk als es die Explosionen gab und beschrieb den Reporter Erwin Stocker noch sichtlich geschockt, das eben erlebte: „Ich war mit anderen Kollegen gerade in einem Treppenhaus im vierten Stock und wurde vom Luftdruck in eine Ecke geschleudert. Mit einem Prügel schlugen wir ein Fenster ein, um ins Freie zu kommen und wurden dann von der Feuerwehr in Empfang genommen“.

Die Rettung per Hubschrauber

Ein Trupp stieg zur Rettung der zwei Arbeiter zum Flachdach des Turmtrakts auf, als um 12.05 Uhr der auf Anforderung der Nachrichtenzentrale der Berufsfeuerwehr hin prompt vom Fliegerhorst Schleißheim gestarteter Sikorsky-Hubschrauber der US-Armee das Kraftwerk anflog. Die beiden US-Army-Piloten Reese und Bradley flogen mitten in den Qualm hinein und landeten an der noch zur Verfügung stehenden Ecke auf der Plattform. Minuten später landeten die zwei Geretteten und der Rettungstrupp, der über das Treppenhaus aufgestiegen war und nun auch den kürzeren Rückweg mit dem Hubschrauber wählte, gemeinsam auf einer Freifläche neben dem Kraftwerk.

Viele der sich zwischenzeitlich eingefundenen Schaulustigen winkten gemeinsam mit dem Reporter Erwin Stocker zu den mutigen Piloten hinauf, um ihnen für die Rettungstat zu danken. Zwei Stunden später kam der Hubschrauber noch einmal, nachdem vorher ein anderer Hubschrauber aus amerikanischen Beständen große Büchsen mit Schaumlöschmitteln herangeflogen hatte. Eine Frau hatte die Polizei verständigt, sie habe auf dem Dach des Werks mehrmals einen Mann winken und wieder zusammen brechen sehen. Mit Brandinspektor Josef Krempl der schon bei dem ersten Flug dabei war und Oberbrandmeister Bruno Dötterl an Bord, landete der Hubschrauber ein zweites Mal auf der Plattform. „Es war eine glühende Hitze, die Dachpappe ist stellenweise zerflossen“, berichteten die beiden Männer dem Reporter Erwin Stocker. „Wir suchten eine größere Fläche ab, fanden aber niemand“.

Schon kurz nach Ausbruch des Brandes waren alle Beschäftigte zusammengerufen worden, um festzustellen, wer fehlt. Dabei stellte sich heraus, daß der Oberingenieur Vogel von der Firma Siemens nicht zu finden war. Er wurde später nach der Brandbekämpfung in der unmittelbarer Nähe des Explosionszentrums tot geborgen.

Unter der Leitung von Oberbranddirektor Dipl.-Ing. Otto Mehltreter, der auch selbst mit seinen Männern immer wieder so weit wie möglich zum Brandherd vordrängte, bekämpften die Feuerwehren den verheerenden Brand. „Wir gehen von drei Seiten gegen das Feuer vor“, berichtete Oberbaurat Karl Seegerer um 13.35 Uhr rußgeschwärzt dem Reporter Erwin Stocker die Lage im Gebäude. „Die Hitze ist so stark, daß unsere Männer immer wieder zum Rückzug gezwungen werden. Aber es ist uns gelungen, das Feuer einzukreisen.“

Um 15.15 Uhr hatte die Feuerwehr den Brand unter Kontrolle und auch die Explosionsgefahr gebannt, das Schlimmste war vorüber. Noch während der Löscharbeiten hatte sich immer wieder auslaufendes Öl detonationsartig entzündet, und manchmal knatterte es in den Räumen, als ob mit Maschinengewehren geschossen würde.

Nach dem Unglück

Der Einsatz der amerikanischen Kräfte wurde vom stellvertretenden Firemarshall, Major Robert M. Blair, geleitet. Der Polizeieinsatz stand unter der Leitung von Polizeidirektor Dr. Heinrich Martin, der sich zusammen mit Kriminaldirektor Dr. Manfred Schreiber am Brandort einfand.

Trotz des großen Schadens schafften es die Stadtwerke in weniger als einer Woche einen der beiden Wärmetauscher im oberen Teil des Gasturbinen-Heizkraftwerks wieder in Betrieb zu nehmen und auf das Heißwassernetz zu schalten. Der geforderte Wärmebedarf wurde in vollem Umfang gedeckt. Zwar schätzte man den Schaden auf rund 10 Mio DM, ein Totalverlust des Werks oder Schäden in der Umgebung waren jedoch nicht zu beklagen.

Die Rettungsarbeiten wurden wesentlich beschleunigt und erleichtert, da Burkhard Franz von der Planungsabteilung der Elektrizitätswerke sich sofort nach Ausbruch des Brandes die genauen Pläne beschaffte und so den Rettungs- und Löschtrupps die Orientierung in dem weitläufigen Gebäude ermöglichte.

Zudem wären die Auswirkungen zweifellos viel schlimmer gewesen, hätte der 25-jährige Werkzeugmacher Günther Eberl von den Stadtwerken München nicht bereits Sekunden nach der ersten Explosion geistesgegenwärtig den Erdgasschieber geschlossen und so die weitere Zufuhr verhindert. Günther Eberl und Baurat Burkhard Franz wurden vom Münchner Oberbürgermeister Dr. Hans-Jochen Vogel öffentlich belobigt.

Am 31.01.1962 fand zudem in der Turnhalle der Hauptwache eine Ehrung für die Männer der Berufs- und Freiwilligen Feuerwehr München statt. Innenminister Goppel und Oberbürgermeister Vogel sprachen den Einsatzkräften den Dank des Freistaates Bayern und der Landeshauptstadt München aus.

Autor:
Markus Zawadke
Historischer Leiter des Feuerwehrmuseum Bayern e.V.
und Löschmeister der Freiwilligen Feuerwehr München

Quellenhinweise

  • Aufsatz vom damaligen Oberbaurat und späteren Oberbranddirektor Dipl. Ing. Karl Seegerer in der Brandwacht Juni 1962 (17. Jahrgang, Heft Nr. 6)
  • Artikel von Erwin Stocker im Münchner Merkur in der Wochenendausgabe vom 20./21.01.1962
  • Die Pressestelle der Branddirektion München stellte das Bildmaterial zur Verfügung

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